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Erschienen in der Frankenpost am 16.01.2012 
 

 

"Smart Grid ist die Technik der Zukunft"

 

Der Leiter des Instituts für leistungselektronische Systeme, Professor Dr. Norbert Graß, hält Smart Grid für die entscheidende Technologie, mit der die Energiewende gelingen kann. Auch Gas-und-Dampf-Kraftwerke werden seiner Meinung nach auf Dauer benötigt.

 
Die Energiewende ist das große Thema in der Region. Mehrere Kommunen streben an, bis in einigen Jahren bei der Energieversorgung autonom zu sein. Ist das realistisch?

Das halte ich durchaus für realistisch. Rein rechnerisch werden gerade ländliche Regionen in Zukunft mehr Energie produzieren als sie verbrauchen. Allerdings ist es nicht ohne Weiteres möglich, diese elektrische Energie zeitgleich passend zum Verbraucher zu bringen. Die Energieversorgung wird sicherlich noch komplexer werden, als sie es schon ist. Es wird eine höhere Zahl an Erzeugungsanlagen mit unterschiedlicher Verfügbarkeit geben.

Wäre es angesichts dessen nicht vorteilhaft, die Kommunen würden sogar energieautark, sich also vom deutschlandweiten Stromnetz abkoppeln und eigene, lokale betreiben ?

Im Gegenteil, dadurch würde man sich die Energieversorgung weiter erschweren. Stromnetze werden noch weit mehr Funktionen bekommen müssen, als sie heute schon haben. Anders wird die Energiewende nicht gelingen. Das Grundprinzip bleibt allerdings immer gleich: Netze sind dazu da, Bedarfs- und Versorgungsschwankungen über größere Gebiete auszugleichen und für eine stetige Energieversorgung zu sorgen.

Stichwort "Smart-Grid-City". Was halten Sie von dem Modellversuch, der in Hof und Arzberg starten wird ?

Smart Grid, das heißt nichts anderes als "intelligentes Netz", ist sicherlich die Technologie der Zukunft, wenn es um die flächendeckende Versorgung mit regenerativen Energien geht. Es geht schlicht darum, möglichst intelligent die Energieerzeugung und den Verbrauch zu steuern. Konventionell wurden Kraftwerke abhängig von der benötigten elektrischen Leistung gesteuert. Um noch höhere Anteile an regenerativ erzeugtem Strom einzusetzen, werden in Zukunft Verbraucher immer dann eingeschaltet, wenn hohe elektrische Leistungen eingespeist werden.

Kann dadurch Energie gespart werden ?

Nein, damit hat das nichts zu tun, das ist ein anderes - ebenso wichtiges Thema. In den beiden Städten Hof und Arzberg wird man zum Beispiel testen können, wie intelligente Netze in einer eher städtisch und einer eher ländlich geprägten Gegend steuerbar sind. Vereinfacht ausgedrückt steigt die Spannung in den Netzen, je mehr Erzeuger ihren Strom einspeisen. Schon heute sind wir in vielen Netzen an sonnigen Tagen an einer Kapazitätsgrenze angelangt. Da wir in aber in Zukunft viele dezentrale Energieeinspeiser haben werden, müssen die Netze ausgebaut und erneuert werden. Wir benötigen zum Beispiel neuartige Wechselrichter, die die Netzspannung effizienter steuern. Zusätzlich wird es nötig sein, die Nachfrage nach Energie zu steuern.

Was sicherlich nicht ganz einfach sein wird.

Hierbei handelt es sich nicht nur um eine technische, sondern auch um eine gesellschaftliche Herausforderung. Es geht um die Frage, ob wir es uns als Privatleute noch leisten werden können, zu jeder Zeit Strom zu entnehmen.

Aber es gibt doch mit dem Nachtstrom schon heute finanzielle Anreize, verstärkt in der Nacht Energie zu nutzen.

Nachtstrom zielt in erster Linie auf die Energieerzeugung in großen Kraftwerken, insbesondere in Kernkraftwerken. Es ist eben für die Kraftwerksbetreiber wirtschaftlicher, ihre Anlagen rund um die Uhr zu betreiben, als sie in der Nacht zu drosseln. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird die Energieerzeugung aber wesentlich dezentraler und womöglich schwankender werden. Solaranlagen liefern zum Beispiel die höchste Leistung zur Tagesmitte, da wird auch die größte Leistung von den Verbrauchern benötigt. Dennoch schwankt die Leistung, etwa wenn Wolken am Himmel sind. Und hier kommt Smart Grid ins Spiel. Es geht darum, den Kunden Anreize zu geben, immer genau dann Strom zu verbrauchen, wenn es am sinnvollsten ist. Dies wird aber nicht mehr nur in der Nacht sein, sondern zu jeder denkbaren Zeit.

Bedeutet dies, dass man in Zukunft nur noch fernsehen kann, wenn genug Energie im Umlauf ist oder immer standby stehen muss, damit man den idealen Zeitpunkt zum Wäschewaschen nicht verpasst?

So dramatisch wird es sicherlich nicht werden, aber im Prinzip läuft es tatsächlich so. Der Verbraucher wird aber auch weiterhin die Hoheit darüber haben, wann er fernsehen oder Wäsche waschen will. Dennoch wird Smart Grid ein Energiekommunikationszentrale in den Haushalten steuern und entweder den Kunden darüber informieren, wann der Verbrauch sinnvoll ist. Akzeptiert wird dieses System meiner Meinung nach nur dann, wenn der Betrieb von Elektrogeräten automatisch durch die Übermittlung von flexiblen Tarifinformationen gesteuert wird. Hier stehen uns sicherlich noch spannende Zeiten bevor.

Arzberg bemüht sich seit einiger Zeit um ein Gas-und-Dampf-Kraftwerk. Ist dies nicht ein Rückschritt in der Energiewende ?

Keineswegs, wahrscheinlich werden wir noch sehr, sehr lange und sogar verstärkt auf diese Technologie angewiesen sein. Wir benötigen sie, damit die Einspeiseschwankungen und Bedarfsspitzen ausgeglichen werden können. Immerhin scheint nun mal die Sonne nicht permanent und auch der Wind bläst nicht immer. Arzberg wäre sicherlich ein möglicher Standort.

Das Gespräch führte Matthias Bäumler

Vortrag beim EBZ
"Es geht auch ohne Kernkraft" lautet der Titel eines Vortrages von Professor Dr. Norbert Graß am Montag, 16. Januar, um 19.30 Uhr im Evangelischen Bildungszentrum in Bad Alexandersbad (EBZ). Dabei wird Graß auch seine Einschätzung zum Modellversuch "Smart Grid City" erläutern.
 

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