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Erschienen in der Frankenpost am 13.07.2011 
 

Hilfe kommt (noch) nicht an

 

Trotz Rechtsanspruchs beantragen in Hof nur wenige Hartz IV-Bezieher Geld aus dem Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung. Bürokratie und Scham sind Hemmnisse.

 
Hof - Für Golf, hat Sybille L. (Name von der Redaktion geändert) gehört, gebe es keinen Zuschuss aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. Doch golfen wolle ihre siebenjährige Tochter ohnehin nicht. Seit drei Jahren zählt Sybille L. zu den "Aufstockern". Die 30-Jährige hatte wohl Jobs, doch das Geld reichte der alleinerziehenden Mutter hinten und vorne nicht. Sie musste staatliche Hilfsleistungen beantragen, ob sie wollte oder nicht. Sie liebt die klare Rede: "Für alles musst du erst irgendeinen Wisch ausfüllen, dann wird geprüft und vielleicht genehmigt." Die Rennerei auf die Ämter ist ihr ein Graus. "Es ist nicht nur der Aufwand, das Schlimmste ist, dass man sich so anschauen lassen muss."

Sie fürchte, sagt sie, heute schon den Tag, sollte sie einmal Nachhilfe für ihre Tochter beantragen müssen. "Ich höre den Beamten schon fragen: Warum braucht Ihr Kind Nachhilfe in Mathe? Diese Fragerei nervt. Braucht es den Seelenstriptease wirklich, nur weil ich will, dass es meinem Kind mal besser gehen soll als mir. Und dafür braucht es doch die Bildung."

Die 30-jährige Melanie S. (Name von der Redaktion geändert) hat zwei Kinder. Auch sie ist alleinerziehende Mutter, seit sechs Jahren bezieht sie Hartz IV. Ihr neunjähriger Sohn spielt im Verein Fußball. Sie hätte einen Rechtsanspruch von zehn Euro monatlich aus dem Kinder- und Teilhabepaket. Theoretisch. Praktisch aber macht sie davon keinen Gebrauch. "Wenn ich mir das nicht mehr leisten kann, dann ist alles zu spät", sagt die 30-Jährige. Sie wolle nicht, dass ihre Kinder mitbekommen, dass es ohne staatliche Hilfen nicht geht. Außerdem wolle sie nicht, dass im Verein bekannt wird, dass sie Hartz-IV-Bezieherin ist. "Da kriegst du sofort einen Stempel drauf." Mit dem Antrag würde sie das beim Verein anzeigen, denn nur der sei berechtigt, den Monatsbeitrag bei der Stadt oder dem Jobcenter einzufordern.

Ein weiteres Problem könnte sich ergeben: Nicht alle Vereine sind anerkannt. Die Prüfung obliegt allein dem Jobcenter.

Mit dem Mittagessen im Hort gab es keine Probleme. "Das lief automatisch." Der Kinderschutzbund habe sie darauf aufmerksam gemacht, sagt Melanie S., den Zuschuss zu beantragen. Und auch wenn sie die Kinder jetzt mit auf eine Freizeit schicke, werde sie wohl die Unterstützung abrufen.

Diese Zahlen sprechen Bände: Nur knapp 50 bis 60 Anträge liegen dem Fachbereich Jugend/Soziales im Hofer Rathaus bisher vor, in denen Bezieher von Hartz IV für ihre Kinder einen Zuschuss für Mitgliedschaft in einem Verein gestellt haben. Verschwindend wenig vor dem Hintergrund, dass in der Stadt wenigstens 2000 Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr leben, die einen Rechtsanspruch auf die zehn Euro monatlich haben für Leistungen zum Mitmachen in Kultur, Sport und Freizeit.

Woran liegt das? Das Bildungs- und Teilhabepaket entpuppt sich bei näherer Betrachtung als zu kompliziert, sagt Jürgen Schöberlein, der stellvertretende Vorsitzende des Stadtjugendrings Hof. Mag der theoretische Ansatz stimmen, Kinder und Jugendliche aus Familien mit geringem Einkommen zu unterstützen,

dass sie am gemeinsamen Mittagessen in Schule, Kita oder Hort teilnehmen;

bei Schulausflügen dabei sein können;

dass ihnen Nachhilfe gewährt wird - allerdings nur, sofern die Versetzung gefährdet ist, und das muss die Schule attestieren;

dass sie Fußball spielen können im Sportverein oder Gitarre spielen lernen in der Musikschule.

Die Praxis zeigt: Die Umsetzung des Pakets bereitet auf allen Seiten Probleme. Nicht nur bei denen, die sie abrufen können, sondern auch jenen, die - wie Vereine oder Schulen - ein Angebot machen können.

Das anfängliche Informationsdefizit bei Empfängern wie Anbietern sieht Klaus Lippert mittlerweile gelöst. Der Leiter des Fachbereich Jugend/Soziales hat in der jüngsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses festgestellt: "Nahezu alle Leistungsberechtigten wurden mit einem Informationsschreiben auf die neuen Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets hingewiesen." 1600 Briefe seien verschickt worden, außerdem Schul- und Hortleitungen gebeten worden, "insbesondere bei der Lernförderung aktiv auf eine Inanspruchnahme hinzuwirken". Auch den Vereinen sei ein Informationsblatt - verbunden mit einem kurzen Antrag - zugegangen.

Nach wie vor aber ist Fakt, dass viel zu selten das Geld für die Kinder tatsächlich abgerufen wird - gerade was die Teilhabe in Vereinen angeht. Dabei sind doch gerade jene "die beste Gewähr für die Integration in die Gemeinschaft", sagt Eva Wilfert, Vorsitzende des Hofer Stadtjugendrings und Vorstandsmitglied des VfB Moschendorf. Sie kann Lipperts Hoffnung, dass sich "alles schon noch einspielt", nicht teilen. Wilfert in der jüngsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses: "Unsere Erfahrungen sind ganz andere." Es habe nicht nur lange gedauert, bis das erste Kind mit einem Antrag in der Hand zum Training erschien, auch das weitere Prozedere gestaltete sich langwierig. "Das Geld ist noch nicht geflossen."

Auch dieser Fall aus der Praxis beweist, wie langsam die bürokratischen Mühlen mahlen. Die 26-jährige Helga B. (Name von der Redaktion geändert) will ihren Sohn im Safety-Kids-Projekt mitmachen lassen, das der Verein Schutzhöhle in Kindergärten anbietet. Auf Anraten der Diakonie hat sie schon vor Wochen einen Zuschuss beantragt - und wartet immer noch auf einen Bescheid.

Angesichts der bisherigen Inanspruchnahme der Gelder aus dem Bildungs- und Teilhabepaket ist nicht davon auszugehen, dass die Stadt Hof die vom Bund zur Verfügung gestellte eine Million Euro gänzlich weitergibt. Fachbereichsleiter Klaus Lippert rechnet mit "höchstens 800 000 Euro".

Bürgermeister Eberhard Siller, zuständig für den Unternehmensbereich Schule/Jugend/Soziales, sieht darin kein Problem. "Der Stadt tut es gut, wenn der sonst so hohe Zuschuss für die Jugend- und Sozialhilfe vielleicht mal etwas niedriger ausfällt", rechnet er im Jugendhilfeausschuss vor.

Ohnehin dürfte die pauschale Auszahlung des Bundes für das Bildungs- und Teilhabepaket in dieser Form einmalig bleiben. Laut Klaus Lippert soll "schon 2013 mit spitzer Feder gerechnet werden". Mit anderen Worten: Es erfolgt eine Anpassung an die tatsächlichen Ausgaben.

Bildungspaket-Misere
Zur aktuellen Debatte über den Stand der Umsetzung des Bildungspakets erklärt Präsident Adolf Bauer, Präsident des Sozialverband Deutschland: "Der mühselige Start des Bildungspakets ist kein Wunder, denn das komplizierte Verfahren und fehlende Personal in den Jobcentern erschweren die Beantragung der Leistungen erheblich

 

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