Von Thomas Hanel
Mödlareuth - Er
kommt. Die Original Töpener Blasmusik weiß, was zu tun ist. Während
sich der Gast mühsam den Weg durch die Menschenmenge bahnt,
schmettert sie zackig den bayerischen Defiliermarsch; der Beifall
der 4000, die hier im rappelvollen Festzelt in Mödlareuth sitzen und
stehen, schwillt zum Jubelsturm an. Sie feiern ihren Mann wie einen
Heilsbringer. Zwei Frauen kämpfen sich an seine Seite und flüstern
ihm ins Ohr. Es muss ihm schmeicheln, denn er lächelt. Es ist
Guttenberg-Time.
Der 37-jährige oberfränkische CSU-Vorsitzende
und Bundeswirtschaftsminister Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg ist,
und Mödlareuth zeigt es wieder klar, der Stern am politischen
Himmel. Das 20. Deutschlandfest der CSU und der CDU-Verbände
Ostthüringens und des sächsischen Vogtlands am Tag der Deutschen
Einheit im einst von Mauer und Stacheldraht durchschnittenen
thüringisch-bayerischen Grenzdorf wird zum Volksfest.
Hoffnung, Kraft, Mut
Zu den 4000 Besuchern im Bierzelt zählt die
Polizei noch einmal etwa 2000 auf dem Gelände davor, die
Veranstalter sprechen euphorisch gar von insgesamt 12 000 Menschen.
Nur Helmut Kohl, der frühere Kanzler, ist 1994 ein größerer Magnet
gewesen.
Ganz offenbar spricht Guttenberg seinen
Zuhörern aus dem Herzen. Sie glauben ihm, was er sagt, und es
gefällt ihnen, wie er es sagt - schwungvoll, kämpferisch, keine
Sekunde langweilig. Gefühlsgeladen besonders. Und Gefühle dürfen an
einem solchen Tag wie diesem nicht fehlen, der nicht als freier Tag
begriffen werden möge, sondern als Nationalfeiertag, "der sich in
den Herzen festbrennt und auf den Sie stolz sein sollten. Das
emotionale Brennen ist es, was wir brauchen. Was wir nicht brauchen
ist, geduckt durchs Leben zu gehen. Es ist äußerst ungesund, den
Kopf hängen zu lassen."
Das baut auf. Auch, wenn Guttenberg sagt, dass
der 3. Oktober für überragende menschliche Leistungen steht und der
Name Mödlareuth nicht nur für Zerrissenheit, sondern gerade für
Hoffnung, Kraft und Mut. Mödlareuth zu leben, darauf komme es an.
"Der Mauerfall war für mein junges Leben damals der größte
Glücksfall der Geschichte." Vor allem die Zuhörer aus Thüringen und
Sachsen hat der Redner hinter sich, als er "vor Hochmut in den alten
Ländern gegenüber den Lebensgestaltungen im Osten" warnt.
Stattdessen sollte sich ein jeder viele der Handlungsweisen aus der
Wendezeit des Ostens zu eigen machen, Zivilcourage zum Beispiel.
Guttenberg erinnert an "jene, die die deutsche
Vereinigung vor 20 Jahren eine Lebenslüge genannt haben, Leute, die
heute in den alten Ländern in Amt und Würden sind". Er meint, ohne
ihn beim Namen zu nennen, auch Lafontaine und sagt: "In Wahrheit ist
die Partei, an deren Spitze sie stehen, eine Lebenslüge." Es gebe
viele, die das System herbeisehnen, das "wir vor 20 Jahren gottlob
überwunden haben. Wir müssen daher wachsam sein."
Die Pflicht, den Mund aufzumachen
Freiheit sei und bleibe Grundanspruch des
Menschen. Es gelte, die Kraft und die Stärke, die der Freiheit
innewohnen, nach außen zu tragen. Tosenden Beifall und Bravo-Rufe
erntet Guttenberg, als er auf die Mohammed-Karikaturen, 2006
veröffentlicht in dänischen Zeitungen, zu sprechen kommt und darauf,
wie damals manch westliche Reaktion iranischem Druck nachgegeben
habe: "Mit der Meinungsfreiheit machen wir es uns etwas zu einfach.
Wir müssen uns da nicht entschuldigen. Nein, wir müssen sagen: So
ist das!" Und weiter: "Wir sollten unsere Grundwerte mit
Selbstbewusstsein vertreten; sonst stärken wir all jene, die unser
freiheitliches System beseitigen wollen. Wir müssen ein weltoffenes,
tolerantes Land bleiben. Jeder, der zu uns kommen will, kann kommen
- wenn er bereit ist, unsere Sprache zu lernen und unsere
rechtsstaatliche Ordnung zu akzeptieren."
Mit Blick auf das schlimme Ereignis von Solln,
aber auch auf die Wirtschaftskrise mahnt Guttenberg eine
Grundwerte-Debatte an, um ein starkes gesellschaftliches Fundament
zu schaffen und die soziale Marktwirtschaft vor Rattenfängern zu
schützen. "Die nächsten Jahre werden uns viel Kraft abverlangen. Es
gilt, immer wieder klar zu machen, dass gerade auch in dieser Region
in der Mitte Deutschlands und Europas der Mittelstand, das Handwerk
und die Landwirtschaft das Herzstück unserer Volkswirtschaft sind.
Und es gilt, die Leistungsträger zu motivieren, sie trotz
Schuldenbergs und hohen Haushaltsdefizits zu entlasten und nicht
durch eine ungerechte Besteuerung wie die kalte Progression zu
demotivieren. Die bewusste Entscheidung zur Nichtleistung darf nicht
mehr zählen als die bewusste Entscheidung zur Leistung."
Kurz vor der Wahl, als Guttenberg die Bürger
auf bevorstehende schwere Zeiten mit zunehmender Arbeitslosigkeit
einschwor, bekam er mächtig Ärger in der Union. Dazu sagt er jetzt:
"Ich halte es für meine verdammte Pflicht, den Mund aufzumachen und
auch die unangenehmen Dinge zu benennen, wenn es der Wahrheit
entspricht. Der Mensch muss im Mittelpunkt der Politik stehen, nicht
der Staat." Ein Politiker habe sich als Dienstleister des Bürgers zu
begreifen und auf die eigenen Defizite zu schauen. "Von der Politik
des Draufschlagens haben die Leute im Land die Nase gestrichen
voll."
"Das ist der kommende Kanzler"
Dem Redner rinnt der Schweiß in Strömen übers
Gesicht, als er zum Schluss ins Zelt ruft: "Gottes Segen, alles
Gute, Einigkeit und Recht und Freiheit, meine Damen und Herren!"
Minutenlang brandet ihm der Applaus entgegen, manche stehen auf den
Tischen, immer wieder schallt es: "Bravo!" Bescheiden lächelnd, in
die Menge winkend nimmt Guttenberg die Ovationen entgegen. Sein
Sakko ist durchgeschwitzt.
Gemessen an den rhetorischen Ausflügen der
meisten Politiker ist der Auftritt des Barons in Mödlareuth eine
Gala-Vorstellung. Ein Zuhörer raunt ergriffen und allen Ernstes:
"Das ist der Messias. Ein Patriot. Da hat der kommende Kanzler
gesprochen." |